Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern hat aktuell klargestellt, dass auch für einen ausschließlich im vertragsärztlichen Notdienst eingeteilten Vertragsarzt eine Verpflichtung zur Hilfeleistung im Rettungsdienst gegeben sein kann.
Der Entscheidung lag dabei als Sachverhalt folgender dringlicher Hausbesuch zugrunde: Herzschmerzen, trotz Nitro keine Besserung. Der diensthabende Dispatcher stufte diese Anmeldung als Notarztindikation ein. Da der diensthabende Notarzt durch einen anderen Patienten gebunden war (Zuckerschock und Herzversagen), wurde die zuständige diensthabende Person des vertragsärztlichen Notdienstes gebeten, diese dringliche Hilfeleistung zu übernehmen. Diese weigerte sich jedoch mit der Begründung, dass es sich um eine Notarztindikation handele und sie dafür weder zuständig noch ausgerüstet sei. Zum Einsatz kam daraufhin der Notarzt des Nachbarbereiches, der den Patienten nach erfolgter Versorgung stationär einwies. Hilfsfrist 21 Minuten. Eine nachträgliche Verständigung war leider nicht möglich. Die betreffende Person vertrat aber unverändert den Standpunkt, dass sie nicht verpflichtet sei, im vertragsärztlichen Notdienst einen Einsatzauftrag der zuständigen Rettungsleitstelle wahrzunehmen, wenn sie der Meinung ist, es handele sich um eine Indikation für den Rettungsdienst. Sie sprach im Gegenteil von einem Organisationsverschulden der Leitstelle, wenn diese nicht in der Lage sei, einen weiteren Notarzt zu aktivieren.
Hierzu hat das Landessozialgericht in seinen Entscheidungsgründen wie folgt ausgeführt:
Die erforderliche Hilfe war für die zum vertragsärztlichen Notdienst eingeteilte Person zumutbar. Gerade als Diensthabender des vertragsärztlichen Notdienstes war sie verpflichtet, beim offensichtlichen Vorliegen eines medizinischen Notfalles den Patienten zu Hause aufzusuchen, zu untersuchen, ggf. zu behandeln oder die sonst erforderlichen ärztlichen Maßnahmen zu ergreifen.
Die Zumutbarkeit entfalle auch nicht dadurch, dass sie als zum Bereitschaftsdienst eingeteilte Person ohne die erweiterten notärztlichen Möglichkeiten eine wirksame Behandlung nicht hätte durchführen können und sich zudem aufgrund ihrer fehlenden Qualifikation der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt hätte.
Wie jedermann hat auch der zum vertragsärztlichen Notdienst Eingeteilte die Verpflichtung zur Hilfeleistung nur in dem individuellen Umfang zu treffen, der den Möglichkeiten des Hilfeleistenden entspricht.
Überdies habe die zum vertragsärztlichen Notdienst eingeteilte Person erkannt, dass ein Unglücksfall vorgelegen habe. Gleichfalls habe sie erkannt, dass eine Hilfeleistung erforderlich war und auch dass diese zumutbar war. Selbst wenn sie subjektiv der Auffassung gewesen sein sollte, dass sie zur Hilfe nicht berufen sei, weil ein rettungsdienstlicher Notfall die Hilfspflicht für den im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst tätigen Arzt entfallen ließe, so wäre dieser Verbotsirrtum nicht geeignet, den Vorsatz für eine unterlassene Hilfeleistung entfallen zu lassen. Nach den entsprechenden intellektuellen Fähigkeiten und dem Ausbildungsstand sei man in der Lage gewesen zu erkennen, dass durch die Alarmierung des rettungsdienstlichen Notarztes aus dem Nachbarbezirk nicht sichergestellt war, dass eine rechtzeitige Hilfeleistung erfolgen würde. Auch die etwaige Möglichkeit, einen Kollegen aus dem nahegelegenen Krankenhaus anzufordern, bot nicht die Gewähr der rechtzeitigen Hilfeleistung. Vielmehr wäre es denkbar gewesen, dass sowohl der Notarzt des Nachbarbezirkes als auch ein Krankenhausarzt aus dem nahegelegenen Krankenhaus den Patienten nicht hätte rechtzeitig erreichen können. Insbesondere, weil die genannten Ärzte möglicherweise mit anderen wichtigen, unaufschiebbaren und ununterbrechbaren ärztlichen Handlungen befasst gewesen sind.
Dass der Notarzt aus dem Nachbarbezirk tatsächlich zu einem Zeitpunkt eingetroffen ist, vor dem die zum vertragsärztlichen Notdienst eingeteilte Person meinte den Patienten nicht hätte erreichen zu können, ist unbeachtlich. Der Straftatbestand einer unterlassenen Hilfeleistung ist bereits dann erfüllt, wenn beim Einsetzen der Handlungspflicht die gebotene Handlung nicht vorgenommen wird. Der Senat war daher davon überzeugt, dass die betreffende Person sich einer unterlassenen Hilfeleistung nach § 323 c StGB schuldig gemacht hat.
Mithin wird diesseits empfohlen, in Zweifelsfällen zunächst entsprechende Hilfeleistungen vorzunehmen. Eine Verpflichtung zur Hilfeleistung kann nur dann entfallen, wenn eine anderweitige gleichwertige wichtige unaufschiebbare und ununterbrechbare ärztliche Befassung gegeben ist. Unabhängig davon verbleibt auch für jeden zum vertragsärztlichen Notdienst Eingeteilten die Möglichkeit, im Nachhinein ein etwaiges Organisationsverschulden des Rettungsdienstes geltend zu machen, um auf diesem Wege zukünftigen unnötigen Inanspruchnahmen vorzubeugen. Die KVMV wird hierbei behilflich sein.
(aus Journal der KVMV, Juni 2008, S. 7)
Assessor Thomas Schmidt
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