Aktuell erreichen das Justiziariat vermehrt Anfragen von Ärzten, die um Aufklärung hinsichtlich der Vereinbarkeit der ihnen obliegenden Notdienstverpflichtung mit den teilweise von Schnee oder Eis überzogenen Straßen bitten. Was ist zu tun, wenn ein Erreichen des Patienten nicht oder nur nach erheblichem Zeitablauf möglich erscheint? Muss man sich gleichwohl auf den Weg begeben?
Der vertragsärztliche Notdienst umfasst die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung in den sprechstundenfreien Zeiten. Der jeweils eingeteilte Arzt ist zur Teilnahme an diesem organisierten Notdienst verpflichtet. Einschränkungen sind hier nicht vorgesehen. Gleichwohl sind notdienstverpflichtete Ärzte immer wieder bestimmten Erschwernissen bei ihren Einsätzen ausgesetzt, seien es extreme Windverhältnisse, Eisglätte oder wie aktuell heftiger Schneefall. Hier bahnt sich ein Interessenkonflikt an zwischen dem Patienten, der vertragsärztliche Versorgung in Anspruch nehmen möchte, und dem notdienstverpflichteten Arzt, welcher sich durch äußere (Witterungs-)Einflüsse in der Versorgung gehindert sieht. Eine pauschale Antwort zur Lösung des Konfliktes für alle denkbaren Konstellationen kann es nicht geben, so sehr dies auch gewünscht oder erhofft sein mag.
„Extreme Witterungsverhältnisse allein führen nicht automatisch zu einer Pflichtbefreiung des Arztes.“
Vielmehr muss der Arzt in jedem Einzelfall in einem ersten Schritt erkunden, ob und in welchem Maße der um Notdienst Ersuchende ärztlicher Versorgung bedarf. Wie bei jeder „normalen“ Anfrage muss also entschieden werden, welche Maßnahmen bzw. Therapien notwendig sind. Selbst bei vergleichbaren Fällen kann die Entscheidung, ob und wie man tätig wird, je nach Arzt unterschiedlich ausfallen: Die dem Arzt zustehende Therapiefreiheit eröffnet nämlich einen Handlungsrahmen, der durchaus auch unterschiedliche Entscheidungen nebeneinander zulässt.
In einem nächsten Schritt ist dann abzuwägen, ob und wie die notwendige ärztliche Versorgung des Anfragenden durch den Notdienstleistenden sichergestellt werden kann oder aber die Hilfe Dritter in Anspruch genommen werden muss. Auch hier ist für jeden Einzelfall eine separate Abwägung vorzunehmen. Denkbar wäre beispielsweise, dass der Arzt nicht den Patienten aufsucht, sondern diesen darauf verweist, in die Praxis zu kommen.
Der Handlungs- oder besser Abwägungsablauf unterscheidet sich nicht danach, ob die Witterungsverhältnisse einen konkreten Notdiensteinsatz ermöglichen oder nicht. Aufgrund von Wetterbedingungen kann dem persönlichen Einsatz des Arztes jedoch insbesondere das Recht entgegenstehen, sich nicht selbst oder andere gefährden zu müssen. Dies führt nicht zwangsläufig zur Entbindung von der Notdienstverpflichtung. Vielmehr wird die weiterhin bestehende Pflicht durch Interessen des Arztes, die im Einzelfall als höher zu bewerten sind, verdrängt. Nach seiner Einschätzung kann der Arzt folglich zum Schluss kommen, dass ein Einsatz notwendig ist, dieser jedoch (gegenwärtig) nicht persönlich wahrgenommen werden kann. Zwangsläufig muss sich der Arzt dann gleichwohl, auch wenn er selbst nicht tätig werden kann, um den Patienten bemühen und insbesondere Dritte in dessen Versorgung einbinden. Zu denken wäre hier beispielsweise daran, den Patienten an den Verantwortlichen eines benachbarten Notdienstbereiches oder an den Rettungsdienst zu verweisen, sofern dem Arzt ausnahmsweise eine Versorgung unmöglich ist.
Abschließend sei nochmals betont, dass die Erfüllung der Notdienstverpflichtung durch den Arzt nur im Einzelfall verweigert werden kann. Extreme Witterungsverhältnisse allein führen nicht automatisch zu einer Pflichtbefreiung des Arztes. Entsprechende Erschwernisse können jedoch ein Grund dafür sein, dass unter den konkreten Verhältnissen ein persönlicher Einsatz nicht möglich ist und die Anfrage an Dritte weitergeleitet werden muss. Die Nichterfüllung der Notdienstverpflichtung stellt immer einen Sonderfall dar, der ungeachtet der derzeit herrschenden Wetterbedingungen jeweils besonderer Gründe bedarf. In jedem Fall muss der Arzt sein Handeln rechtfertigen und die Gründe seiner Nichthilfeleistung nachweisbar darlegen, um den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung entkräften zu können. Es empfiehlt sich deshalb, alle Tatsachen hinreichend zu dokumentieren, die den Arzt dazu veranlasst haben, in dem konkreten Einzelfall seine Notdienstverpflichtung nicht zu erfüllen.
(aus Journal der KVMV, März 2010, S. 5)
Assessor Thomas Schmidt
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