von Nils-Olaf Hübner1*, Jürgen Bohnert2, Martina Littmann3, Emil Christian Reisinger4
Am 5. Mai 2023 hob die WHO den internationalen Gesundheitsnotstand im Zusammenhang mit der SARS-COV-2 Pandemie auf. Trotzdem bleibt SARS-COV-2 eine häufige und potentiell schwer verlaufende Systemerkrankung.
In der 50. Kalenderwoche 2023 litten ca. 8,9 Millionen Menschen in Deutschland an Akuten Atemwegs-Erkrankungen (ARE), davon waren aktuell ca. 19 % durch COVID-19 bedingt, entsprechend einer Inzidenz von ca. 3000. In MV lag zu diesem Zeitpunkt der Anteil von SARS-COV- 2 bei über 30% – Tendenz steigend, wobei insbesondere die Personen über 60 Jahren besonders betroffen waren. Neben der Impfung als präventiver Möglichkeit zur Abschwächung der Infektionswahrscheinlichkeit und vor allem der Fallschwere stehen inzwischen eine Reihe wirksamer therapeutischer Optionen von COVID-19-Infektionen zur Verfügung. Diese müssen aber zum richtigen Zeitpunkt gegeben werden um wirksam zu sein. Im Folgenden wollen wir die therapeutischen Optionen und ihre praktischen Aspekte mit besonderer Betonung der frühen Infektionsphase kurz vorstellen.
Für die wirksame Behandlung von SARS-COV-2 ist die Kenntnis des Erkrankungsverlaufes, der therapeutischen Optionen und der Risikofaktoren entscheidend: Die Erkrankung beginnt mit der viralen Phase. Diese ist geprägt von hoher Virusreplikation und Viruslast. Darauf folgt die inflammatorische Phase. Diese ist geprägt von der Immunreaktion, und steigenden Antikörpertitern aber auch lokalen und systemischen Reaktionen. Das Virus selbst spielt in dieser Phase in der Regel keine relevante Rolle mehr. Die klinische Symptomatik, insbesondere die schwere Symptomatik, entwickelt sich im Verlauf insbesondere als Folge der Immunreaktion. Daraus ergibt sich, dass kausale Therapien, die sich gegen das Virus und seine Replikation richten, in der frühen Phase gegeben werden müssen. Immunmodulatorische Therapien, die sich gegen die übersteigerte Immunreaktion richten, sind dagegen v. a. in der späten Phase wirksam.
Merke: Die Entscheidung zur kausalen Therapie von SARS-COV-2 basiert nicht auf der klinischen Symptomatik bzw. Erkrankungsschwere, sondern auf dem Risiko für einen schweren Verlauf.
Wichtigster Risikofaktor für einen schweren Verlauf bleibt das Alter: Bereits in der Altersgruppe 40-49 Jahre besteht gegenüber der Altersgruppe 18-39 Jahre ein mehr als doppelt so hohes Risiko an COVID-19 zu versterben. Dies setzt sich mit jedem Dezennium fort, sodass in der Altersgruppe 65-74 Jahre das Risiko schon 6,7-fach, und ≥ 85 Jahren schon 10,6-fach erhöht ist. Dieses Risiko erhöht sich weiter durch das Vorliegen von Vorerkrankungen.
Daraus ergeben sich als Risikofaktoren für einen schweren Verlauf:
Die wohl bekannteste kausale Therapieoption in der frühen Erkrankungsphase ist Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®). Dabei hemmt der Proteaseinhibitor Nirmatrelvir die SARS-CoV2 Replikation, der Kombinationspartner Ritonavir schützt Nirmatrelvir vor zu schnellem Abbau durch Inhibition von Cytochrom P450 (insbesondere CYP3A) und von P-Glykoprotein. Gemäß aktueller S-3 Leitlinie kann Nirmatrelvir/Ritonavir bei erwachsenen Patienten mit COVID-19 und Risikofaktoren für einen schweren Verlauf innerhalb der ersten 5 Tage nach Symptombeginn eingesetzt werden. Insbesondere Personen ab 65 Jahren und/oder mit inkomplettem Impfschutz (vgl. aktuelle STIKO-Empfehlungen) profitieren hierbei von dieser spezifischen antiviralen Therapie. Nach Studienlage wird das Risiko für eine Notaufnahme, Hospitalisierung oder Tod bei geimpften Personen mit überwiegend Omicron-Infektionen um 45% reduziert . Die empfohlene Dosierung beträgt 300 mg Nirmatrelvir (zwei 150 mg Tabletten) und 100 mg Ritonavir (eine 100 mg Tablette) zur gleichzeitigen Einnahme alle 12 Stunden über einen Zeitraum von 5 Tagen.
Die Ritonavir-Komponente ist dabei wesentlich für Wechselwirkungen verantwortlich, da der Metabolismus anderer Arzneimittel, die durch das Cytochrom P450 metabolisiert werden, beeinflusst wird. Andererseits beeinflussen Wirkstoffe, die die Aktivität von Cytochrom P450 erhöhen die Wirkung von Paxlovid®. Die Inhibition von CYP3A4 beginnt mit der Therapie und ist auch noch 3-5 Tage nach dem Ende der Einnahme relevant. Eine Paxlovid®-Therapie erfordert daher eine genaue Medikamenten- und Drogen-/Genussmittelanamnese und Bewertung der Komedikation. Relevant sind u.a. Statine und orale Antikoagulantien. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen zudem Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion. Bei schwerer Leberfunktionseinschränkung (Child-Pugh C) sollte Paxlovid® nicht eingesetzt werden, für Kinder liegen keine Daten vor.
Hilfreich sind diese Zusammenstellungen:
In jedem Fall ist eine Patientenaufklärung (auch telefonisch) und Abgabe des Dokumentes „Hinweise für den Anwendenden“ in Papierform (bei telefonischer Aufklärung durch Zustelldienst) erforderlich.
Die zweite therapeutische Option in der frühen Phase ist Remdesivir (Veklury®). Als Nukleosidanalogon hemmt es die virale RNA-Polymerase und damit die Virusreplikation . Es muss i. v. appliziert werden. Remdesivir kann bei Patienten mit COVID-19 und Risikofaktoren für einen schweren Verlauf innerhalb der ersten 7 Tage nach Symptombeginn eingesetzt werden . Es kann bei Erwachsenen und Kindern ≥40 kg KG eingesetzt werden, 1. Tag : 1 x 200 mg/d i. v., ab 2. Tag 2: 1 x 100 mg/d i. v.. Bei Kindern ≥4 Wochen und mit einem Körpergewicht von ≥3 kg KG und <40 kg ist ein Einsatz auf eine COVID-19-Pneumonie bei zusätzlicher Sauerstoffgabe beschränkt. Die Therapiedauer liegt bei 3-5 Tagen (max. 10). Remdesivir hat ein deutlich geringeres Interaktionspotential als Paxlovid®. Bei gleichzeitiger Gabe von Arzneimitteln mit enger therapeutischer Breite, die über CYP3A4 und/oder CYP1A2 metabolisiert werden, ist laut Fachinformation Vorsicht geboten. Bei Unsicherheit kann der Liverpool Interaction Checker verwendet werden. Häufige Nebenwirkungen von Veklury® sind eine Transaminasen-Erhöhung, Kopfschmerzen, Übelkeit, Hautausschlag und verlängerte Prothrombinzeit.
Merke: Auch bei oligo- bzw. asymptomatischen Verläufen in der Frühphase (d. h. 5-7 Tage nach Symptombeginn) sollte unabhängig vom COVID-19-Impfstatus bei Vorliegen von ≥ 1 Risikofaktor eine Behandlung mit Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®) oder Remdesivir (Veklury®) durchgeführt werden, da diese nicht nur das Risiko für einen schweren Verlauf reduziert, sondern auch das Risiko für Spätfolgen (Post-COVID)! Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind dabei unbedingt zu beachten!
Die Beschaffung der Medikamente ist klar geregelt: Paxlovid® ist ein zentral beschafftes Medikament, welches über den pharmazeutischen Großhandel nach ärztlicher Rezeptierung (BUND-PZN für Paxlovid®: 17 97 70 87 für personenbezogene ärztliche Verschreibungen; 18 26 89 38 für Bestellungen ohne Versichertenbezug) zu beziehen ist. Eine Bevorratung in Apotheken ist möglich. Arztpraxen/Krankenhäuser dürfen bis zu 5 Packungen direkt vorhalten. Die Kosten für die Verordnung übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen. Verordnungen für Privatpatienten erfolgen über ein Privatrezept (Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung und der Monoklonale-Antikörper-Verordnung).
Für Veklury® gibt es keine zentrale Beschaffung und derzeit auch es keine Regelung der Refinanzierung einer ambulanten Therapie. Eine Bevorratung mit dem Medikament ist somit nicht möglich.
Zusatzinformationen:
Vorgehen in der ambulanten Medizin
Bei vielen ARE ist die Konsultation in der Arztpraxis der erste Kontakt mit dem Gesundheitswesen. Das bietet für Niedergelassene die Chance, behandlungsfähige und behandlungswürdige Infektionen zu erkennen, kausal zu behandeln, und schweren Verläufen zuvorzukommen (Schema). Aktuell machen COVID-19 Erkrankungen knapp ein Drittel der ARE aus. Mit Paxlovid® und Veklury® stehen zwei kausal wirksame Therapieoptionen zur Verfügung. V. a. Ältere, Vorerkrankte und nicht vollständig Geimpfte profitieren von einer Therapie. Paxlovid® kann oral verabreicht werden, hat jedoch ein hohes Interaktionspotential. Bei Veklury® ist das Interaktionspotential deutlich geringer, es muss aber i. v. appliziert werden. Beide Medikamente wirken in der frühen, viralen Phase der Infektion, d. h. die Therapie muss 5 bis max. 7 Tage nach Symptombeginn bzw. Diagnose beginnen. Die Therapieentscheidung basiert daher auf dem Risikoprofil des Patienten für einen schweren Verlauf, nicht der zum Zeitpunkt der Indikation vorhandenen Fallschwere. Auch in der späten, inflammatorischen Phase stehen wirksame Therapien zur Verfügung. Diese wirken v.a. antikoagulativ und immunmodulatorisch. Für die Vermeidung schwerer und lebensbedrohlicher COVID-19 Infektionen sind weiter die Prävention vor allem durch Impfung und nicht-pharmakologische Maßnahmen sowie die frühe Erkennung und Therapie in der viralen Phase sowie die rechtzeitige (stationäre) Therapie schwerer Verläufe entscheidend.
Autoren:
1Prof. Dr. med. habil. Nils-Olaf Hübner, M.Sc., Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Greifswald;
2Dr. med. Jürgen Bohnert, Friedrich Loeffler-Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universitätsmedizin Greifswald;
3Dr. med. Martina Littmann, Abteilung Gesundheit des Landesamtes für Gesundheit und Soziales M-V;
4Prof. Dr. med. univ. Emil Christian Reisinger, MBA, Abteilung für Tropenmedizin und Infektionskrankheiten der Universitätsmedizin Rostock
Geschäftsbereich Qualitätssicherung
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